Fiktionale Realitäten
Wir begleiten Prof. Baddy Dolly Jane zu der Diplomausstellung einer Kunststudentin an die Akademie der bildenden Künste Wien.
Seit ihrer Berufung 2009 an die Akademie der bildenden Künste Wien, war Univ.-Prof. Baddy Dolly Jane Vorsitzende mehrerer Prüfungskommissionen. Wir begleiten sie zu der Diplomausstellung einer jungen Kunststudentin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Die Ausstellung mit dem Titel „Zwischen Fiktion und Realität“ präsentiert sich an einem geschichtsträchtigen Ort: einst fand in dem historischen Hauptsaal der Akademie am Schillerplatz 1 Adolf Hitlers Eignungsprüfung zum Kunststudium statt, welche er leider erfolglos ablegte.
Laternationen
Nichts scheint wie es ist: Im Dunkel des tiefroten Raumes tauchen schattenhaft immer wieder formlose, schwarzgrün-glänzende Körper auf, die sich bei näherer Betrachtung vor dem Auge wieder auflösen. Technisches Gerät wie Kameras oder Scheinwerfer schleichen sich immer wieder in das Interieur, Holz- und Metallkonstruktionen dienen als ihre Befestigungsvorrichtungen. Kabel hängen wie zufällig in den Bildraum hinein – es scheint, als ob man Beobachter eines Filmsets ist.
Sind dies verstörende Schauplätze mit kafkaesker Logik oder handelt es sich um eine Inszenierung, die den Betrachter auf eine falsche Fährte locken soll? Die Arbeiten aus der Werkgruppe „Laternation“ sind malerisch inszenierte Zimmer eines Kabarett-Theaters, dessen Wohnstuben sich als intime Seelenräume entpuppen.
Vom Film zum Bild
Die Gemälde verweisen auf den mehrfach ausgezeichneten chinesischen Film „Die rote Laterne“ von Zhang Yimou aus dem Jahr 1991. Die Ereignisse im Film spielen rund 45 Jahre vor der Kulturrevolution in China. In verführerischen Bildern schildert Yimou seine Vision der historischen Realität. Gefärbt in sattes Rot, ist es eine Geschichte von Hierarchien, Machtstrukturen und dem gescheiterten Versuch, diese aufzubrechen. Die Malerin greift eben diese filmischen Bildvisionen auf und überführt sie zurück in eine ganz andere Realität – die der malerischen Leinwand.
Das Serielle im Verhältnis zur Erzählung
Die Geschichte, die sich in der Werkreihe – es sind 25 Gemälde, entsprechend der Anzahl der Bilder einer Filmsekunde – zusammensetzt, handelt immer noch von den besagten Themen, doch die Akteure sind ausgetauscht: Nun ist es nicht mehr der Mensch, der seinen Raum einfordert, sondern die immer gleichen „seelenlosen“ Objekte des menschenleeren Interieurs. In den Gemälden erscheinen Einrichtungselemente, wie Beistelltisch, Spiegel, Kommode, Holzelemente, drapierte Wandbehänge und natürlich die rote Laterne in verschiedenen Konstellationen, und konkurrieren dabei um ihre Relevanz auf der Bildfläche. Die Wortschöpfung des Titels „Laternation“ leitet sich dabei ebenfalls von der Thematik der Macht ab: Die rote Laterne kann nämlich das, was die Gegenstände um sie herum nicht können: leuchten. Etwas „laternieren“ heißt also in dem Fall das Licht auf etwas lenken, denn das schummrige Licht der roten Laterne ist die einzige Lichtquelle in diesen Räumen. Es taucht die Bilder in ein tiefes Rot und bestimmt die sinnliche Qualität der Bilder. Das Spiel mit gemalter Schärfentiefe, manchmal bis zur Unkenntlichkeit (wie wir es aus filmischen Bildsequenzen kennen), nimmt bei der Strukturierung des Bildraums eine weitere, elementare Rolle ein – sie teilt ihn in wichtige und unwichtige Bereiche, gibt den Blick auf einen Bildbereich frei oder verschleiert ihn. Anders als beim Film löst sich hier aber durch die Wiederholung und Aneinanderreihung der Bildelemente die erzählerische Ebene von Bild zu Bild auf: es tritt die Leinwand als malerische Bildfläche in den Vordergrund.
Wechselspiele
Der Betrachter ist konfrontiert mit einem ständigen Wechselspiel von Inszenierung und Wirklichkeit. Der illusorische Raum, die Leinwandfläche, der mentale Raum, der wechselnde physische Raum, der zwischen Bild und Betrachter gefordert ist (die Bilder haben beträchtliche Größenunterschiede) – all das greift ineinander. Die Erwartungshaltung nach dem endgültig erklärenden Moment bleibt dabei unbefriedigt. Die Bilder sind nicht zuletzt auch deshalb faszinierend und irritierend zugleich, weil die Künstlerin in ihrer Bildsprache den Bildgeschmack des Publikums bedient, indem sie Seh- bzw. Lesegewohnheiten aufgreift, gleichzeitig jedoch durch versteckte Interventionen deren Botschaften konterkariert.
Diplomprüfung
Die Mitglieder der Prüfungskommission zeigen sich sichtlich beeindruckt. Prof. Baddy Dolly Jane, die die Leiterin der Prüfungskommission ist, äußert jedoch ihren Unmut: „Ein klares ‚Nein‘ zu dieser Kunst“, lautet das Urteil über ihre ehemalige Kommilitonin (pikantes Detail: es ist nicht lange her, da haben sich Baddy und die Studentin sogar eine WG geteilt). Die Studentin besteht zwar die Diplomprüfung, erhält jedoch keine Auszeichnung, nicht einmal eine lobende Erwähnung. Die Professorin begründete diese Entscheidung damit, dass es den anderen Diplomanden gegenüber nicht fair gewesen wäre, diese Arbeit auszuzeichnen: „Diese Bilder sind zu komplex und virtuos –wir brauchen so etwas nicht. Ich würde sie am liebsten mit einem Messer zerschneiden. In meiner Klasse dulde ich solche Kunst nicht und bin froh, dass meine Studenten von mir etwas anderes lernen.“ ■
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