Künstlerischer Ungehorsam — Der Fall Baddy Dolly Jane
MuMoK,, Burgtheater Wien, Villa Merkel, Tate Modern: Exklusiv für das Baddyforum International hat die Kunsthistorikerin und Kuratorin Valérie Hammerbacher die subversiven Praktiken der Baddy Dolly Jane erforscht. Sie geht dabei der Frage nach, welches revolutionäre Potenzial in der Rebellin steckt.
Vorwort
Wenn von Ungehorsam die Rede ist, denkt man schnell an Kommunarden oder die Studentenproteste der jüngsten Zeitgeschichte. Doch das Phänomen ist älter. Man könnte es klassisch nennen. Als der venezianische Maler Paolo Veronese sich 1573 vor Gericht verantworten musste, berief er sich in seiner Verteidigung auf eben diese künstlerische Selbstbestimmung: „Wir Künstler nehmen uns die Freiheit, die sich die Dichter und Narren nehmen“, eröffnete er sein Plädoyer vor dem venizianischen Tribunal. Der Vorwurf: In seiner Darstellung des Letzten Abendmahls bevölkert massenhaft Personal die Szenerie; Christus und seine Jünger waren dadurch jedoch zur Randnotiz degradiert worden und die Auftraggeber, der Dominikanerkonvent von S.Giovanni e Paolo, so verärgert, dass es zur Anzeige kam. Veronese sprach von der Unabhängigkeit der Künste und rief in seiner Rede ein Grundthema allen gestalterischen Schaffens auf: Alles ist erlaubt, wenn es der eigenen künstlerischen Wahrheit angemessen ist. Der Performerin Baddy Dolly Jane droht zwar anders als bei Veronese nicht die Inquisition, dennoch geben ihre öffentlichen Interventionen bei Kulturevents Anlass, über die Freiheit der Kunst erneut nachzudenken.
»Making the Right People Angry – Wenn Kunst auf Wirklichkeit trifft«
Ist erlaubt, was nicht gefällig ist? Um den Ablauf von Baddy Dolly Janes Performances vorwegzunehmen: Wer stört, fliegt raus! So könnte der Untertitel von Baddys Aktionen lauten. Überall dort, wo sie im Kulturbetrieb Unsinn, Heuchelei und dubiose Geschäfte wittert, schlägt die Kampffigur zu.
Baddy Dolly Jane ist eine Strategin, die sich der Institutionskritik verschrieben hat. Ihre subversiven Auftritte sind ihr Werkzeug, mit dem sie festgefahrene Rituale und Machtstrukturen entlarven will. Sie zertrümmert die gängigen Rollenzuschreibungen, um sie als Konventionen sichtbar zu machen. Schließlich zeigen ihre Arbeiten deutlich: Die routinierten Akteure des Kulturbetriebs reagieren plötzlich hilflos, irritiert und aggressiv, wenn sie mit ihren eigenen Pressetexten und Postulaten konfrontiert werden und das eintritt, was sie selbst noch wenige Augenblicke zuvor in ihren Reden eingefordert hatten: Künstler nämlich, die sich die Freiheit der Dichter und Narren nehmen.
Begleitet werden Baddys Aktionen von einem oftmals gleichen Ritual. Immer wenn die Künstlerin Machtterritorien besetzt, löst sie starke Reaktionen aus. Sie macht das strenge Regiment sichtbar, indem sie gegen seine Vorschriften kalkuliert verstößt. Mit künstlerischem Ungehorsam rebelliert sie gegen die Regeln des geschmeidigen Ablaufs im Kunstbetrieb – und diese Renitenz, die sich der Freiheit des Geistes verschrieben hat, tut weh!
Plattform: Museum Moderner Kunst Wien
Das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien war während der Ausstellung „Bad Painting, Good Art“ im September 2008 Schauplatz einer ihrer ersten Auftritte. Im Rahmen der Schau fand das Künstlergespräch „Making the Right People Angry“ mit dem New Yorker Malerstar und „Bad Boy der Kunstszene“ (so die Ankündigung) John Currin statt, dessen erotisch-angehauchte Werke im Museum präsentiert wurden. Baddy Dolly Jane tauchte während dieses Künstlergesprächs im Publikum auf und tat schließlich das, wofür sie berühmt ist und gefürchtet wird: Sie enterte die Veranstaltung und zog innerhalb eines Augenblicks die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.
Nachdem das Podiumsgespräch zwischen John Currin und der Kuratorin des Museums samt Vortrag beendet war, animierte die Kuratorin das Publikum, Fragen zu stellen. Für Baddy Dolly Jane war dies das Stichwort für eine ungewöhnliche Gesangseinlage. Der Cabaret-Klassiker „Money Makes the World Go Around“ ertönte, Baddy stand auf und wandte sich an den Künstler: „John, warum legst Du die Möpse nicht auf den Tisch?“ Dann trällerte sie den abgewandelten Liedtext „Money Makes the Artworld Run“ und attackierte den Künstler mit einer krummen Salatgurke. Die Museumskuratorin redete auf den Künstler ein: „Nur die Ruhe bewahren – You are doing a great job, John!“
Derweil befand sich Currin in Schockstarre – der „Bad Boy“ wurde durch den Anblick der geballten sexuellen Kraft von Baddy Dolly Jane domestiziert. Unter den Augen der verstörten Zuschauer tänzelte sie nach einer eingeübten Choreografie, um schließlich ein blank gerupftes Suppenhuhn – gefüllt mit klirrenden Münzen – unter ihrem Oberteil hervorzuholen und dem Künstler auf den Tisch zu knallen. Currins erleichterter Kommentar: „I expected a pie in my face.“ Glück gehabt – nicht nur weil er von der Backwaren-Attacke verschont geblieben war, sondern einen legendären Moment erlebte, den später Zehntausende auf YouTube sehen sollten.
Das Video gibt es hier.
Bühne: Burgtheater Wien im Akademie Theater
Im Wiener Burgtheater wollte sich Baddy Dolly Jane nicht mit der Rolle des passiv zuhörenden Teils des Publikums anfreunden und wählte die Rolle der Akteurin: Das Theaterstück „Fantasma“ von dem für sein „anarchistisches“ Theater bekannten und von Presse und Medien vielgelobten Regisseur René Pollesch bot sich für ihren performativen Einakter an.
Mitten im Stück sprengte die Künstlerin, bewaffnet mit einem Megafon, die Szene. Sie verließ ihren Sitzplatz und betrat die Bühne. Hier inszenierte sie sich als Anwältin des Publikums und forderte mehr Innovation und risikobereites Theater. „Anarchiekontrolle! Staatlich geprüfte Anarchiekontrolle!“ wiederholte sie und forderte das Publikum auf, ebenso wie sie selbst das Stück an seinen Zielen zu messen. Entgrenzung hatte René Pollesch für das Theater gefordert, Entgrenzung wollte Baddy Dolly Jane sehen.
Noch fünf Minuten vorher hatten die Akteure wiederholt auf einen „radikalen Perspektivwechsel“ gepocht: „auf der Bühne soll etwas Unerwartetes passieren“. Nun waren die Darsteller Sophie Rois und Martin Wuttke von diesem Kreativ-Überfall bis hin zur Handlungsunfähigkeit irritiert. Anstatt mit Improvisation auf den Auftritt zu reagieren, verharrten sie in Duldungsstarre. Schließlich flüchteten sie hinter die Bühne. Baddy rezitierte derweil Goethe, Hölderlin und Kropotkin, den geistigen Vater der kommunistischen Anarchie. Währenddessen beriet sich hinter den Kulissen ein Krisenstab aus Schauspielern und Mitarbeitern des Theaters. Das Publikum nahm diese Intervention währenddessen mit Beifall und Klatschen auf. Doch dann schlug das System zurück: nach 15 Minuten zerrten Mitarbeiter die Künstlerin von der Bühne.
Das YouTube Video gibt es hier.
Schauplatz: Villa Merkel, Städtische Galerien Esslingen
Zu Ehren von Baddy Dolly Jane wurde in ihrer Geburtsstadt Esslingen am Neckar das Baddy-Dolly-Jane-Geburtshaus mit dazugehörigem Dokumentationszentrum und der Ausstellung „Von Leonardo zu Baddy“ eröffnet [Anm. d. Red.: mehr auf Seite 140]. Die Ausstellung feierte Baddy als radikale Künstlerin und zeichnete mit Exponaten ihren Werdegang nach. Die Vernissage fand im Lichthof der Städtischen Galerie Villa Merkel – einer renommierten Kulturinstitution im süddeutschen Raum – statt, zu welcher auch das Baddy-Dolly-Jane-Geburtshaus gehört. Mit der strengen Miene einer britischen Monarchin stolzierte sie umgeben von einer Entourage aus PR-Dame, Fanblock und Filmcrew am Eröffnungsmorgen durch die Kunstinstitution. Parallel zu Baddys Schau wurde ebenfalls im Gebäude der Villa Merkel, die ein Sprungbrett für viele internationale Künstler bedeutet, eine weitere Ausstellung mit zwei deutschen Künstlern eröffnet.
Baddy hörte von angeblichen Unstimmigkeiten im Finanzierungsplan der Kulturinstitution und auch das Beziehungsviereck zwischen dem Leiter der Städtischen Galerie, dem Bürgermeister, den Künstlern und dem Kurator stimmte sie nachdenklich. Als der Bürgermeister während der Vernissage zu seiner Rede über die beiden Künstlerkollegen ansetzte, startete Baddy ihre Attacke. Sie begann die Rede zu sprengen, indem sie dem Referenten sein Manuskript mit den Worten entriss: „Das ist der falsche Text!“ und bot eine Eloge, natürlich auf sich selbst, zum Vortrag an. Ergebnis: nach einigem Gezeter mit dem Leiter der Villa Merkel wurde sie vom Kurator mit strampelnden Beinen hinausgetragen. Der Störenfried war entfernt, doch das Vernissage-Ritual war bereits zerstört.
Tatort: Tate Modern, London
Sollte man mit einer geladenen Knarre in der Hand durch die Londoner City laufen? Die Künstlerin tat es in einer ihrer berühmtesten Aktionen, um einen weiteren Akt des künstlerischen Ungehorsams zu verüben. Tatort diesmal: das Londoner Ausstellungshaus Tate Modern. Anlässlich der Francis Alÿs Ausstellung „A Story of Deception“ (eine Geschichte des Betrugs) lief sie mit einer Pistole bewaffnet quer durch die City of London, einer Stadt, in der es im Gegensatz zu Mexico City sogar verboten ist, eine Spielzeugpistole zu verkaufen.* Ihr Weg führte sie von der Fleet Street über die Millennium Bridge bis zur Tate Modern. Unter den Objektiven der Überwachungskameras der Stadtverwaltung bahnte sie sich mit ihren Giga-Brüste eine Schneise durch den Strom der Touristen und City-Boys. Ihr Ziel: Ein Vortrag mit dem Titel „Comrades of Time“ (Zeitgenossen) den Boris Groys, Professor an der New York University, Kommunismuskritiker und Stalinexperte, im Rahmen der Alÿs Ausstellung hielt.
Nachdem der Opinion-Leader als „Big Mind“ dem Publikum vorgestellt worden war, sprach er in notarhaftem Murmeln von Teleologie und der Kultur der Zeitverschwendung. „In the dark space, we dream that somebody brings the public to move, to activate the public. It never happens of course.“
Ohne es zu wissen, aktivierte er damit Baddy Dolly Janes intellektuelle Reflexzonen: Nachdem die entsprechenden Stichwörter gefallen waren, schreckte sie, ebenso wie viele der bereits eingedösten Zuhörer, aus dem Schlaf auf. Das schrille, nicht zu überhörende Klingeln eines Riesenweckers hatte sie alarmiert. Eine Art künstlerisches Frühwarnsystem, ganz im Geiste des Platzpatronenschusses aus der Bugkanone des Panzerkreuzers Aurora, der 1917 das Signal zur Oktober Revolution gab. Es trieb Baddy auf die Bühne: „Du Dieb! Du hast meine Zeit gestohlen!“ Mit der Pistole in der Hand und Handschellen am Gürtel skandierte sie. „Ruft die Polizei. Dieser Mann hat meine Zeit gestohlen.“ Um ihn vor Schlimmeren zu bewahren, stand Groys' Frau aus dem Publikum auf und kreischte auf russisch „Verpiss dich, du Schlampe!“ Doch weder ihre keifende Stimme noch das flehende Zureden eines zu Hilfe geeilten Kurators der Tate Modern konnte Boris Groys vor der Festnahme mit Baddys Handschellen bewahren.
*Anmerkung: Francys Alÿs ist ein belgischer Künstler, der in Mexico City lebt. In einer seiner bekanntesten Videoarbeiten „Re-enactment“ kauft er sich eine Waffe und geht damit durch die Straßen von Mexico City.
Das YouTube Video gibt es hier.
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